Die Komorbidität von Diabetes mellitus und Essstörungen
Junge Frauen mit Typ-1-Diabetes mellitus leiden im Vergleich zu stoffwechsel-gesunden Frauen fast doppelt so häufig an gestörtem Essverhalten bzw. einer Essstörung, insbesondere einer Bulimia nervosa bzw. einer nicht näher bezeichneten Essstörung. Aus der Komorbidität erwachsen deutliche Risiken für den Langzeitverlauf des Diabetes.
Die Stoffwechsellage ist in der Regel unzureichend mit der Konsequenz, dass sich frühzeitig diabetische Spätschäden wie diabetische Nephro-, Neuro- und Retinopathie entwickeln. Als gegenregulatorische Massnahme setzen essgestörte Patientinnen mit Diabetes nicht selten das sogenannte „Insulin-Purging“ ein: Sie spritzen sich gezielt zu wenig Insulin, um mittels Glucosurie abzunehmen. Der dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel führt deutlich früher zu Schäden an Gefäßen und Nerven als bei nicht essgestörten Patienten, auch konnte eine erhöhte Mortalität nachgewiesen werden.
Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 ist insbesondere die Binge Eating Störung zu diskutieren, wobei fraglich ist, ob die Binge Eating Störung bei Menschen mit Typ 2 Diabetes im Vergleich zu Nicht-Diabetikern häufiger auftritt.
Mit Blick auf die Studienlage und entsprechenden Publikationen erreichte die Erforschung der Komorbidität von Diabetes und Essstörungen Anfang des neuen Jahrhunderts seinen Höhepunkt. Mittlerweile dürften die Forschungsergebnisse auch in die Diagnostik und Therapie von Menschen mit Diabetes eingeflossen sein. Wegweisend waren nicht zuletzt auch die unter meiner Federführung entstandenen S3-Leitlinien „Diagnostik und Therapie der Essstörungen“ (2012) und Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes“, die 2003 erstmalig und in der überarbeiteten Fassung 2013 veröffentlicht wurden.
Prof. Stephan Herpertz